Grießbrei und Gedichte: Mein Kampf für Gleichberechtigung

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Foto: Achim Bartmann

Ich fechte als Beerdigungsrednerin mit jedem Auftrag einen verborgenen feministischen Kampf aus. Im Gespräch notiere ich alles, was mir später als Maßnahme zur gleichberechtigten Darstellung eines Lebens nützlich sein kann. Es geht um Emotionen, aber vor allem um Essen.

Nachdem ich den Angehörigen intensiv zugehört und meine Notizen sortiert habe, strukturiere ich meine Maßnahmen. Als erstes suche ich ein passendes Zitat aus, welches ich zum Auftakt meiner Rede ins Feld führe. Die Auswahl treffe ich mit Sorgfalt. Der Spruch soll zum Leben der oder des Verstorbenen passen und eine tiefere, philosophische Botschaft enthalten. Außerdem soll er von einer Frau gedacht und ausgesprochen worden sein. Das klingt zunächst einfach: Frauen denken und sagen viele kluge Sätze. Die Herausforderung ist, dass die Frau zum einen eine Person des öffentlichen Lebens sein muss und zum anderen muss jemand diesen klugen Satz für die Nachwelt notiert haben.

Serena Williams, Astrid Lindgren und Rosa Luxemburg

Zu Beginn meiner Arbeit lernte ich rasch, dass die meisten Zitate berühmter Menschen von Männern stammen. Ich stellte mich der Herausforderung und sammele nun seit fünf Jahren Zitate von Frauen. Ich lasse in meinen Abschiedsreden Serena Williams, Astrid Lindgren oder Rosa Luxemburg sprechen. Das Problem an weiblichen Aussprüchen ist, dass sie oft nicht so wachsweich interpretierbar sind wie z.B. die typische Marc Aurel-Weisheit. Versuchen Sie mal, ein Zitat von Simone de Beauvoir zu finden, dass sich als Trost und Abschiedsgedanke eignet. Fehlanzeige! Jeder einzelne Buchstabe kämpft bei der Philosophin für sich alleine. Als mir die Zitatgeberinnen ausgingen suchte ich nach Dichterinnen, um das Gefühl von Frieden und Vergebung mitzugeben.

Manchmal kann der Satz von Hannah Arendt Gemüter und die Trauer öffnen: „Vergebung ist der Schlüssel zum Handeln und zur Freiheit.“ Auch bei den Heidelberger Autorinnen bin ich schon fündig geworden und ich habe Barbara Imgrund und Hilde Domin gelesen. Ich brauche mehr davon. Wenn Männerleben Männersprüche benötigen, dann lasse ich Männer in Form von Zitaten sprechen. Lange habe ich gewartet, um meinen Lieblingsspruch von Winston Churchill anzubringen: „Ich bin bereit, meinem Schöpfer gegenüberzutreten, aber ob mein Schöpfer ebenso bereit ist, diese Begegnung über sich ergehen zu lassen, ist eine andere Sache.“

Kochen und Backen: meine schärfsten Waffen

Meine schärfste Waffe sind jedoch Ausführungen über Kochen und Backen. Derzeit halte ich viele Reden für die Geburtsjahrgänge aus den Dreißiger- und Vierzigerjahren. Menschen aus diesen Jahrgängen erlebten den zweiten Weltkrieg als Kinder. Die Schulen schlossen, viele Väter kämpften und kehrten nicht mehr zur Familie zurück. Auch nach dem Krieg prägten Hunger und Mangel das Leben. Nur wenige junge Menschen waren so privilegiert, dass sie ihre Schulausbildung fortsetzen oder eine Ausbildung absolvieren konnten. Frauen aus diesen Generationen erhielten meistens die Aufgabe, sich um ihre Geschwister, die Familie und den Haushalt zu kümmern, während die verbliebenen Erwachsenen, vorwiegend die männlichen, versuchten, für den Lebensunterhalt zu sorgen.

Essen heilt

Wenn Männer aus diesen Generationen sterben, kann ich daher neben beruflichen Stationen auch oft von Leidenschaften und Hobbies berichten. Es gibt auf den Trauerfeiern häufig Nachrufe von Kollegen und manchmal kommt der Bürgermeister oder die Feuerwehr, um die letzte Ehre zu erweisen. Wenn Frauen sterben ist der Kreis der Trauernden meistens kleiner, denn sie hielten sich meistens in der Küche auf – ein Ort des Schaffens und der Kreativität, aber ohne Vereinsmitglieder. „Wenn ich an Oma oder unsere Mutter denke, dann denke ich an Essen“, so lautet häufig eine Aussage in meinen Trauergesprächen. Also rede ich auch in der Trauerhalle über die Speisen, die diese Frauen auftischten.

Von Currywurst, Rouladen und köstlichen Torten

Bei Männern ist Essen ebenso eine wichtige Komponente, ich nenne vor allem ihr eigenes Lieblingsgericht. Ich habe schon über die beste Currywurst Deutschlands gesprochen und dazu haben wir das Lied „Currywurst“ von Herbert Grönemeyer angehört. Wenn Großmütter sterben geht’s um Rouladen mit Klößen und Rotkraut, um dampfende Töpfe und dass sonntags niemand am Tisch fehlen durfte. An dieser Stelle meiner Rede werden die Gesichter der Zuhörenden weich. Essen ist warm, es ist etwas Positives, liebevolles, Essen ernährt und lässt uns wachsen, wir bekommen rosige Wangen und Kraft davon. Selbst die Erinnerung daran wärmt. Im Gespräch werde ich oft gefragt: „Aber warum wollen Sie so viel über ihre Gerichte wissen, darüber wollen Sie doch nicht sprechen?“ Mais bien sur! Natürlich möchte ich über Essen sprechen.

Ich zähle selbstverständlich die Lieblingsgerichte der Verstorbenen sowie die der Familie auf. Wenn eine Frau ihr Leben lang ihre ganze Arbeit und Energie in die Versorgung der Familie gesteckt hat und dass ihre Hauptaufgabe war, dann widme ich meine Rede genau dieser Arbeit. Frisch gekochte Speisen für alle zuzubereiten ist eine Kunst und Aufgabe, die nicht weniger zu bewundern ist wie der Zusammenbau einer geraden Mauer. Hätte die Nachkriegszeit den Frauen andere Arbeiten gegeben, würde ich darüber reden. Für das innere Auge des Auditoriums erschaffe ich also üppige Teller voller Sauerbraten und Rouladen, Schnitzel mit Kartoffelsalat, gefüllte Teigtaschen oder köstliche Torten. Die letzten Worte, die über einen Menschen gesprochen werden, sollen echt, tröstend und warm sein.

Welche Werte jemand am Ende seines Lebens hinterlässt ist individuell. Die Lebensläufe und Zukunftswünsche von Männern und Frauen gleichen sich in kleinen Babyschritten immer weiter an. Für mich ist Feminismus etwas Gutes und es wärmt mich von innen wie eine Schüssel heißer Suppe. Feminismus heißt, dass jede und jeder so sein darf und kann wie sie oder er es will. Feminismus bedeutet auch, dass wir als Gesellschaft versuchen, die Chancen für alle Menschen anzugleichen.

Was wird auf Ihrer Grabrede besprochen werden, an was erinnern sich die Menschen, wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, von dieser Erde gehen? Vielleicht wird von veganen Köstlichkeiten oder von Schlachtplatte gesprochen, eventuell kommt der FLINTA-Gesangsverein oder Vertreter von den Freimaurern. Egal wovon geredet wird: Ich hoffe, dass kein Krieg den Verlauf Ihres Lebens und den von ganzen Generationen bestimmte. Lassen Sie uns alle daran arbeiten, dass es eine echte Wahl und Chance gibt, wie wir unsere Leben gestalten möchten.

„Wenn das Leben hart erscheint, geben sich die Mutigen nicht hin und akzeptieren eine Niederlage, sondern kämpfen umso entschlossener für eine bessere Zukunft.“

Queen Elizabeth II.

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Rednerin Ingrid Rupp
Foto: Dana Rösiger

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